Ein Mann im Anzug breitet seine Hände aus und lässt sich nach vorne fallen. Im Hintergrund ein angeschnittenes Bild mit gekreuzigten Armen. Hinter dem Tresen einer Bar ein Brustbild eines Jungen. Die über ihm hängende Girlande schreibt "Fuck we are happy" vor die Wand. Eine Frau liegt auf weißen Laken und zieht sich Goldfolie über den Körper. In der untergehenden Sonne steht ein Mann mit drei Kindern am Wegesrand. Wenig später Pelikane, ein ganzer Haufen, rastend an einem See. Eine Frau, die ins Wasser geht. Das ist Tel Aviv. Gelegen im winzigen, kriegsgeplagten Korridor zwischen Jordan und Mittelmeer, wo drei Religionen ihrem jeweiligen Gott näher zu sein glauben, wo Siedlung, Okkupation, Vertreibung und Wiederbesiedlung sich als jahrtausendealte Routine in die Landschaft eingeschrieben haben, wo es ein jenseits von Sieg und Niederlage nicht gibt.
Man nennt sie die weiße Stadt, aufgrund der vielen bauhausinspirierten Häuser, die wie in einem gigantischen Brettspiel die Straßen säumen, aber eigentlich ist sie grau. Der Beton ist nur in der Sonne weiß. Wenn jene gerade nicht ihre retuschierende Gnade auf die Fassaden reflektiert, sieht man die Zähne, in die Mauern gehauen von der Zeit.
Man nennt sie aber auch "the Bubble": Eine Blase, in der mehr Lebensentwürfe denkbar sind als im gesamten angrenzenden Kontinent, eine Blase, die scheinbar geschützt ist vor den Formulierungen der "Situation" als "Lage im Krieg", wo eine Generation heranwuchs, der es nicht um Vergangenheits-, sondern Gegenwartsbewältigung geht. Dieser Stadt, die mit noch größerer Berechtigung als andere Städte nur im Plural zu denken ist, versucht Karsten Kronas jene Mischung aus Labilität und Präsenz abzugewinnen, die es zur offen erklärten Apologie des urbanen Lebens braucht.
Der Dschungel: Ist er ein Wandschirm vor der Anarchie und dem Nichts? Eine vegetative Klammer, die auf unterschiedlichen Ebenen Lebensraum bereithält für die Masse an Menschen, die sich in ihm ballen? In einem Land, in dem selbst der Wald politisch ist, weil in jedem Quadratmeter ein unsichtbares Fähnchen steckt, weil jeder Schritt Landgewinn oder -verlust bedeuten kann, ist der Dschungel sowohl als zärtliche Fata Morgana, aber auch als überwucherter Ort von Enge und Chaos vorstellbar, der zeigt, wie lose ein Griff in diesem Boden ist. So fluchten die meisten Bilder auch nicht in einem Horizont, sondern in einer Wand. Der verengte Bildausschnitt mit oft extremen Schärfeunterschieden akzentuiert diese Enge.
Doch gibt es auch die Sterne, die Weite, das Meer: Orte, die das Mahlwerk der Geschichte noch nicht zerrieben hat, wo die unmögliche Flucht kurzfristig möglich scheint. Dieses Verlangen, dem Begehren eine Realität zu verschaffen und die Worte Luthers lebendig zu halten, dass eine Sehnsucht, wenn sie nur groß genug ist, schon nach Erfüllung schmeckt. Kronas gelingt es, jene Sehnsucht in Silhouetten einzufangen, deren Sättigung, der israelischen Sonne geborgt, nahezu leuchtet. Licht ist ihm nichts Selbstverständliches, nichts, was immer schon da war und immer da sein wird. Das Licht wird zum zentralen Blutkreislauf visueller Darstellbarkeit, es pumpt durch die Gesichter und Straßen dieser Stadt, verschleiert und belebt sie. Es brennt sich ins Negativ des Mittelformats.
Was wir sehen, ist was wir kennen: es ist das nahöstliche Paradox: Kronas verhandelt gesehene Bilder mit sehenden Bildern, die oft metonymisierte Flut an Vorstellungen, die in überforderten Netzhäuten das alltägliche, das mediale Bild immer neu entwerfen wollen mit dem Bild, das er hütet. Dabei drücken die Bilder das Gedachte nicht aus, sondern skizzieren es in Hinblick auf den nächsten Gedanken: Unbewohnbare Augenblicke, die Kronas nicht als Geschichte zusammenfügen will. Das Unableitbare einer Stadt, ihrer Menschen und Inszenierungen sieht man als reich facettierte Prismen. Sie bleiben unangetastet, nicht reduzierbar auf einen Stand der Dinge.
The photograph today has a bad reputation. Indexically deprived, useless as a document, as a communication tool too much. The apocalyptic riders (for example, James Elkins, W. J. T. Mitchell) announce its end again and again.
What is borne to the grave, however, is not photography. But an idea of photography. An idea whose death can lead to new ideas, as Karsten Kronas would like to show with his series "eternal error":
The individual works move consciously at the border of the photographic image. They are lab experiments, developed from moments where the light, the chemical process of development, dominated the depicted. However, the resulting images also raise the question as to what kind of laboratory you are at all: The circular cut-outs can be both optical lenses and petri dishes, one can also be reminded of astronomical images of pre-colored planets and moons as well as of a hole through which one can look, a look that is intentional and yet forbidden: the view as a gateway for inevitabilities of all kinds.
A wonder in this series when a photo becomes a photo: Is it already a photo on the sensor or the negative of the camera? Or does it have to take material form, as a print or a file? Where is the threshold? Photography is always an entanglement of visibility and invisibility, visualization and withdrawal, knowledge and imagination: as often as photographs are seen, they are also testimonies of a past that remains unobservable. Concentrating on the visibility of the image often leaves the process of visualization too short, ignoring the production process in favor of what you see in a photo.
The work places these questions at the limits of visibility, at the borders between the intentional and the unintentional. It switches perspectives, manipulate pieces to let the material compete against the sign. Not in conflict, but to dissolve the dichotomies of subjective/objective, constructed/realistic, artificial/natural. To show that a photograph can be everything: document and character, chemical painting and indexical trace.
Artist Book
5 EX
2017
Welcome to the jungle "fuck we are happy"
Galerie 21 / Vorwerkstift, Hamburg 2019
Kommunale Galerie, Bielefeld 2012
Karsten Kronas
Jewgeni Roppel